Kann Künstliche Intelligenz (KI) einen Rechtsanwalt ersetzen? Natürlich nicht. Kann sie die Arbeit einer Rechtsabteilung erleichtern und dem Unternehmen Wettbewerbsvorteile bringen? Definitiv – aber unter bestimmten Voraussetzungen.
Immer mehr Unternehmen, die mit einer Vielzahl an Rechtsdokumenten arbeiten, erkennen, dass der Einsatz von automatisierten Lösungen zur Vertragsprüfung ein neuralgischer Punkt für sie ist. KI-gestützte Technologien werden zum Beispiel eingesetzt, um essentielle Informationen aus Verträgen innerhalb von Minuten automatisch abzurufen. Diese Tools ermöglichen es Rechtsabteilungen, Verträge schneller zu überprüfen, große Mengen von Vertragsdaten leichter zu organisieren und zu lokalisieren, das Risiko für Vertragsstreitigkeiten zu verringern und das Volumen der Verträge, die auszuhandeln und auszuführen sind, zu erhöhen.
Die Einführung des Maschinellen Lernens (Machine Learning) für die Verarbeitung natürlicher Sprache hat große Erfolge bei der präzisen Ausführung von Aufgaben erzielt, die bisher nur von Menschen ausgeführt wurden. Die gängigsten Methoden nutzen neuronale Netze und erzielen sehr gute Ergebnisse, wenn die Dokumente, die es zu analysieren gilt, eine hohe Ähnlichkeit aufweisen (standardisiertes Vokabular, vergleichbare Struktur) bzw. wenn nur einfache Daten extrahiert werden sollen.
Doch die Realität in den meisten Unternehmen sieht anders aus: die Vertragssprache ist oft nicht einheitlich, gleiche Inhalte werden anders formuliert, die Bedeutung einer Klausel kann sich durch den Ersatz eines Wortes komplett ändern, usw. Und es sollen des Öfteren komplexere Informationen analysiert werden als nur Namen der Parteien, Ablaufdatum oder Kündigungsfrist. Viele der gängigsten Automatisierungstools scheitern an der Komplexität der Sprache – an der gewollten Ambiguität von Formulierungen (man denke an Verschleierungstechniken in Patenten), an der Vielfalt des Wortschatzes, oder an der Benutzung unternehmensspezifischem Fachjargons.
Biologisch-inspiriertes KI aus Wien
In all jenen Fällen, wo komplexe Information analysiert werden soll, verbringen Mitarbeiter in Rechtsabteilungen immer noch Tausende von Stunden mit der langwieriger, manueller Durchsuchung von Dokumenten. Ein biologisch-inspirierter KI-Ansatz verspricht jedoch Abhilfe. Semantic Folding wurde von der Wiener Start-Up Cortical.io auf Basis neuesten Erkenntnissen in den Neurowissenschaften entwickelt. Semantic Folding ahmt die Art und Weise nach, wie das menschliche Gehirn Sprache versteht. Konkret bedeutet das, dass Semantic Folding Text in „spärlich verteilte“, binäre Vektoren kodiert. Diese sogenannten „Semantische Fingerprints“ sind mit ca. 16.000 semantischen Attributen bestückt und ermöglichen somit eine extrem feine semantische Analyse. Diesem grundlegenden Unterschied ist es zu verdanken, dass Semantic Folding-Modelle überall dort bessere und schnellere Ergebnisse liefern, wo Ambiguität der Sprache und Komplexität der Dokumente oder Knappheit von Trainingsressourcen ein Hindernis für ein Automatisierungsprojekt darstellen.
Cortical.io verhilft schon seit mehreren Jahren Unternehmen zu optimierten Arbeitsprozessen rund um Vertragsanalyse. Dabei wird die eigene Semantic Folding-Technologie mit anderen Machine Learning-Algorithmen für ein Höchstmaß an Flexibilität und Genauigkeit kombiniert. So wurde im Auftrag einer großen Wirtschaftsprüfungsfirma eine Lösung entwickelt, die die Extraktion von Informationen aus Leasingverträgen schnell und zuverlässig automatisiert.
80 % Zeiteinsparung bei der Überprüfung von Leasingverträgen
Aufgrund internationaler und US-amerikanischer Vorschriften (die IFRS 16 und ASC 842 Standards für die Bilanzierung von Leasingverträgen) musste das Unternehmen seinen Kunden helfen, Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit Anlagen- und Immobilienleasing in der Bilanz auszuweisen. Für große Kunden bedeutete es, dass Hunderttausende von Leasingverträgen nach relevanten Informationen durchsucht werden mussten – eine Aufgabe die mit manueller Arbeit Monate gedauert hätte und extrem kostpielig gewesen wäre. Die Automatisierung dieser Aufgabe war insofern heikel, als Leasingverträge nicht standardisiert sind: verschiedene Vermieter verwenden unterschiedliche Formate und die gleiche Information kann auf viele verschiedene Arten ausgedrückt werden.
Cortical.io entwickelte eine Lösung, die nahtlos in den Vertragsmanagementprozess der Firma integriert wurde, und in der Lage war, sowohl präzise Kennzahlen wie Beträge und Daten zu extrahieren, als auch benutzerdefinierte Klauseltypen zu extrahieren und Verträge dementsprechend zu klassifizieren. Mit dieser Lösung konnte die Wirtschaftsprüfungsfirma den Zeitaufwand für die Überprüfung von Leasingverträgen um 80% reduzieren und somit die notwendigen Daten für die Erstellung der Bilanzen der Kunden viel schneller bereitstellen.
Gute KI kann also eine Rechtsabteilung in repetitiven, fehleranfälligen Vertragsanalyse-Aufgaben tatsächlich entlasten. Im Gegensatz zu schnell ermüdenden Mitarbeiter:innen bearbeitet KI den tausendsten Vertrag mit der gleichen Akribie wie den ersten und liefert konstante Ergebnisse, was eine Senkung der Fehlerquote bei der Überprüfung großer Mengen an Verträgen herbeiführt.
100% Genauigkeit kann jedoch keine Maschine erreichen. Ein gutes KI-System weist das Fachpersonal darauf hin, welche Dokumente zusätzlich manuell überprüft werden sollten – genauso wie gute Assistenten ihren Chef um Rat bei heikleren Aufgaben bitten.